Das ist Johanna: „Von kleinen Kissen zu farbenfrohen Röcken“

Die Diagnose Lipödem bedeutet einen tiefen Einschnitt im Leben der Betroffenen. Dennoch war Johanna dankbar, endlich eine Diagnose zu haben. Eine Erklärung für die Veränderungen, die sie an ihrem Körper wahrgenommen hat. Und dankbar, weil sie durch das Lipödem eine neue Leidenschaft entwickelt hat: das Nähen. Johanna entwirft und näht ihre eigenen Klamotten.

 

Es hat lange gedauert, bis Johanna die Diagnose Lipödem erhalten hat. Erst im November 2020 stellte ein Facharzt bei der 25-Jährigen die chronische Fettverteilungsstörung an Armen und Beinen fest. Der Beginn von Johannas Geschichte ist der von so vielen betroffenen Frauen in Deutschland. Und dennoch unterscheidet sich jede einzelne Geschichte voneinander – in den Begegnungen, den Erfahrungen und den Entscheidungen. Johanna hat sich entschieden, die Diagnose anzunehmen und mit dem Lipödem zu leben, statt dagegen zu arbeiten. „Als ich meinen Termin endlich bei einem Facharzt hatte, hatte ich nur gehofft, dass er nicht sagt `Sie haben Übergewicht`. Ich wollte eine Diagnose, die mir die Veränderungen an meinem Körper erklärt.“

Während ihres FSJ hatte Johanna extrem abgenommen. Ihre Beine wiesen schon damals Lipödem-Symptome auf.

„Glücklich über die Diagnose Lipödem“

Johanna war schon immer sehr aktiv, als kleines Kind fing sie an zu tanzen und hatte sich immer gerne bewegt. Rückblickend beschreibt sie ihr Figur als normal. Als sie nach der Schule ein Freiwilliges Soziales Jahr absolvierte, hatte sie sogar spürbar abgenommen, denn die zusätzliche Bewegung machte sich bemerkbar. Durch das anschließende Studium nahm sie wieder an Gewicht zu, jedoch unproportional: Während Arme und Beine mehr Umfang zeigten, blieb die Taille schmal. Und auch die Hautbeschaffenheit veränderte sich. Dennoch suchte die gebürtige Niedersächsin die Schuld bei sich: „Es liegt an mir, warum ich so aussehe“. Diese Gedanken begleiteten Johanna kontinuierlich. Bis sie auf die Krankheit Lipödem aufmerksam gemacht wurde und sich im Internet in das Krankheitsbild einlas.

In Wilhelmshaven stieß sie dann auf Dr. Wiemers, Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie. Schon die Begrüßung zeigte Johanna, dass es richtig war, einen Spezialisten aufzusuchen: „Es ist offensichtlich, warum Sie hier sind“, begrüßte der Arzt seine neue Patientin. Und mit dem Gespräch wurden ihre Selbstzweifel, Schuldzuweisungen und negativen Gedanken beiseitegeschoben. „Ich war erleichtert, Gewissheit zu haben, dass ich nichts dafür kann. Ich war glücklich über die Diagnose“, beschreibt Johanna den Moment der Offenbarung. Das lag auch an der Kommunikation und dem Verhalten von Dr. Wiemers: „Er ist ein toller Arzt, der sich sehr gekümmert und mir viel erklärt hat. Er hatte mir zunächst ein Rezept für die Beine ausgestellt – ob ich auch eines für die Arme erhalten sollte, wollte er zunächst mir überlassen, da ich noch nie zuvor Kompressionsstrümpfe getragen hatte. Mittlerweile trage ich aber Kompressionsleggings und Armstrümpfe.“ Ein sekundäres Lymphödem konnte der Facharzt nicht feststellen, weshalb Johanna weder Strümpfe an den Füßen noch Handschuhe tragen muss.

Selbst nähen statt verzweifeln

Mit dem Rezept für flachgestrickte Kompressionsstrümpfe ging es ins Sanitätshaus – und auch hier war Johanna direkt von fachkundigem Personal umgeben und fühlte sich von Beginn an gut beraten. Mit der Kompression kam Johanna schnell zurecht, mit ihrem bisherigen Kleidungsstil allerdings nicht. Jeans über der Kompressionsleggins war für die studierte Sonderpädagogin keine Option und so musste eine Alternative gefunden werden. Doch mit der für das Lipödem typischen Disproportion zwischen Taillenumfang und Volumen der Beine war es für Johanna sehr schwierig, Röcke oder Kleider zu finden, die einwandfrei saßen. Entweder war der Bund zu weit oder der Rock an den Beinen zu eng. Doch aufgeben ist für die Norddeutsche keine Option: Als Kind hatte sie sich schon an der Nähmaschine probiert, wieso sollte ihr das nicht als Erwachsene gelingen?

Kleider und Röcke zu nähen, die genau zu Johannas Figur passen, klang nach einer optimalen Lösung. Johannas Freund, der sie von Beginn an unterstützt, befürwortete ihre Idee. Zum Jahrestag schenkte er ihr eine hochwertige Nähmaschine. „Zuerst habe ich mich an Körnerkissen versucht. Die sind als Einstieg recht einfach. Doch nach ein paar Versuchen habe ich mich immer mehr getraut, mir neuen Stoff gekauft und mich auch mal an einen Reißverschluss gewagt. Meine Mama näht selbst und von ihr konnte ich viel lernen. Andere Tricks habe ich mir von Youtube-Videos abgeschaut. Und wenn es mal nichts geworden ist, dann habe ich es wieder aufgetrennt und nochmal probiert.“

Johannas Nähkunst

Lipödem hält Johanna nicht von ihrer Leidenschaft ab

Nach ein paar Monaten wollte die 25-Jährige dann den nächsten Schritt wagen: Endlich sollte der Kleiderschrank um maßgeschneiderte Teile erweitert werden. Mit einem Schnittmuster aus dem Internet, das auf 20 verschiedenen Blättern ausgedruckt wurde, nähte Johanna ihr erstes Kleid. Und siehe da, das Ergebnis konnte sich sehen lassen, sodass Johanna ermutigt war, weiterzumachen. Vor allem Röcke haben es der Niedersächsin angetan. Etwa zwei Tage braucht Johanna für einen neuen Rock – mit Reißverschluss sogar etwas länger. Das hängt aber auch davon ab, in welcher Verfassung die Sonderpädagogin gerade ist: „Durch Corona habe ich fast jeden Tag genäht – Babyhosen und Babykleidung, Körnerkissen oder Röcke. Aber es kommt immer darauf an, wie viel Kraft ich habe. Durch mein Lipödem tun gerade die Arme dann mehr weh und ich muss häufiger Pausen einlegen.“

Doch mit dem Nähen hat Johanna ein Stück Freiheit zurückgewonnen. Deshalb nimmt sie die Schmerzen in Kauf: „Durch das Nähen kann ich meine Kreativität voll ausleben und zusammen mit der Kompression endlich das anziehen, was ich möchte und was mir passt. Vor allem endlich Röcke, ohne dass meine Oberschenkel aneinander reiben. Das habe ich lange Zeit nicht gemacht und jetzt fühle ich mich endlich wieder wohl in meiner Haut.“

Johanna ist eine #LipödemMutmacherin

Johanna nutzt ihren Instragram-Auftritt @joojoo_ol mittlerweile dazu, um von ihrem Lipödem- und Kompressionsalltag zu berichten. Sie selbst hat ihre Diagnose noch nicht allzu lang, weshalb ihr Instagram hilft, um sich auszutauschen, Fragen zu klären und sich Inspiration zu holen. Johanna ist sehr hilfsbereit, arbeitet gerne kreativ und verwendet regelmäßig den Hashtag #LipödemMutmacher, eine Initiative für lipödembetroffene Frauen, die von Ofa Bamberg ins Leben gerufen wurde.